„#We ♥ Geeks“ titelt die Glamour im Oktober 2015. Die Teen Vogue veröffentlicht Artikel mit Titeln wie „15 Movies That Prove Nerdy Girls > Popular Girls“ (24.4.15) oder auch „QUIZ: Which Celebrity Shares Your Inner Nerdiness?“ (11.6.15) [Antwort: Ariana Grande]. Überall liest man, dass Geek das neue hippe Ding ist und man seine innere nerdyness rauslassen soll.
Soso! Aber zum Nerdsein gehört mehr als eine Brille mit schwarzem Rahmen aufzusetzen und einen Geek zeichnet mehr aus, als nur der letzten Marvel-Film im Kino geguckt zu haben oder ein Spiderman-T-Shirt von Primark zu besitzen.
Geek:
informal
1 An unfashionable or socially inept person.
1.1 [USUALLY WITH MODIFIER] A knowledgeable and obsessive enthusiast: a computer geek
2 A carnival performer who performs wild or disgusting acts.
[Oxford Dictionary]
Nerd:
1. A foolish or contemptible person who lacks social skills or is boringly studious.
[…]
2. A single-minded expert in a particular technical field.
[Oxford Dictionary]
Geht man von der Grundbedeutung der beiden Wörter aus, so sind beide recht negativ belassen. Nerd wird tatsächlich häufig im amerikanischen Raum als Beleidigung verwendet. In Filmen sind das die Menschen, denen die coolen Football-Spieler die Bücher aus der Hand schlagen. Beide Wörter eint außerdem die Besessenheit mit einem Thema. Dabei bezieht sich „Nerd“ explizit auf technische und wissenschaftliche Bereiche, während Geeks sich einfach nur für einen bestimmten Bereich besonders stark interessieren.
Durch in den USA erfolgreiche Serien wie Glee, Filme über Aussenseiter (The Perks of Being a Wallflower) und den durch Disney angestoßenen Superhelden-Hype sind plötzlich nerdige Themen in die normale Popkultur gerutscht. Und was passiert, wenn sonderbare Randerscheinungen plötzlich allgemeine Akzeptanz erfahren? Richtig, sie werden von der Modewelt aufgegriffen.
Damit etwas als Mode funktioniert, muss es natürlich sehr stark vereinfacht werden. Um auf die Glamour-Titelstory aus dem Oktober zurückzukommen:
Der Artikel frühstückte ungefähr alles ab, was irgendwie in den Geek-Bereich gepackt werden konnte und unterlegte dies mit großen Modebildern. „NERD-BRILLEN sind die heißesten Accessiors der Saison, UNCOOL ist plötzlich cool und SCHLAU das neue Chic: Was aussieht, als hätten ‚Star Wars‘-Fan die Fashion-Macht ergriffen, ist weit , mehr als eine Modeerscheinung“, beginnt der Artikel von Corinna Götz. Danach folgt eine Unterteilung in Episoden, die mit einem Blabla über Übernerds wie Bill Gates anfängt, übergeht zu irgendwas mit Technik und der Big Bang Theory, zur Streberbrille springt [bebildert mit einem Gucci-Bild], kurz auf den hotten neuen Cast von Star Wars eingeht und endet mit dem Hinweis, dass man seinem inneren Nerd frohlocken sollte.
Ja, das kratzt ganz, ganz, ganz leicht an der Oberfläche dieser „Nerds“. Man merkt förmlich, wie in der Redaktionssitzung gesagt wurde: „Corinna, mach mal was zu diesen Nerds.“ – „Zu wem?“ – „Nerds, hier Big Bang Theory, Star Wars, Roboter und dieses schwarze Kind mit den hochgezogenen Hosen aus den 90ern.“
Und so hört man plötzlich Sätze wie „Ich bin ja so ein Nerd.“, von Mädchen, die von ihrem Freund in einen Marvel-Film geschleppt wurden oder sich The Big Bang Theory angucken, ohne auch nur zu wissen, worüber die vier Jungs 90% der Zeit sprechen.
Ein Nerd oder Geek zu sein, ist aber nicht nur eine Modeerscheinung. Es ist nicht nur ein sexy Sekretärinnen-Look oder das Besitzen einen Star Wars-T-Shirts (ebenfalls erhältlich bei Primark). Es bedeutet sich mit einem Thema soweit zu beschäftigen, dass man alles über es weiß, Thesen dazu entwickelt und hitzige Debatten führt. Es heißt sich in absurden Ecken des Internets Diskussionen mit Gleichgesinnten zu liefern und sich darüber zu freuen, wenn man endlich jemanden gefunden hat, der sich für den gleichen Blödsinn begeistern kann.
Es reicht nicht nur aus alle Marvelfilme zu gucken um ein Comicfan zu sein, denn seien wir einmal ehrlich, die Filme sprechen auch ganz normales Action-Film-Publikum an. Es heißt einen Haufen der Comics gelesen zu haben und darüber zu diskutieren ob der alternative Handlungsstrang oder die Handlung, die durch die Zeitreise entstand besser ist. Es bedeutet Verschwörungstheorien aufzustellen und sie anhand von Zitaten zu belegen.
Geeks gucken nicht nur Game of Thrones, sie lesen auch die Bücher und hinterfragen ob R + L = J ist [Natürlich!].
Sie gehen nicht nur in den Comicladen um sowas einmal live zu erleben, sondern um absurde Fundstücke zu finden [z.B. die DC-Reihe von Stan Lee!] und sich mit Gleichgesinnten zu unterhalten.
Nerds roten sich in Rudeln zusammen um Brettspiele mit absurden Namen zu spielen, die zwei Stunden zum erklären und fünf Stunden zum Spielen dauern.
Wir bauen Raspberry Pi’s, weil es Spaß macht; lesen Bücher, weil es Luft zum Atmen ist; bleiben bis mitten in der Nacht wacht, um ein Videospiel zu schaffen; wissen wer Joss Whedon ist, haben alle Folgen von Buffy gesehen und können Geld und Zeit mit dem Sammeln von Figuren, Amiibos, Nendoroids und anderem Fanzeug verschwenden. Und egal was wir davon tun, es fühlt sich nicht an wie Zeit- oder Geldverschwendung, sondern wie Leben.
Und vor allem wollen wir nicht, dass man uns imitiert und zur Schau stellt. Wir wollen nicht, dass Menschen „Comic-Laden-Tourismus“ betreiben und kichernd in Spieleläden stolpern. Darum geht es nicht. Darum ging es nie.
Die Modeindustrie weiß gar nicht, was sie den wirklichen Nerdmädchen und weiblichen Geeks damit antut, wenn es plötzlich „chic“ oder „in“ ist nerdig zu sein. Sie wissen nicht, dass man sich plötzlich rechtfertigen muss, warum man ein Avengers-Top trägt und, dass man doof von anderen Geeks angemacht wird, wenn man offen zu seinem inneren Nerd steht, denn wirkliche Nerds fühlen sich von dieser Pseudo-Gruppierung zu Recht angegriffen. Also hört auf jemanden zu kopieren, den ihr bis vor wenigen Monaten noch doof fandet und den ihr immer noch suspekt findet, wenn er zur Gamescom, Spiel! oder Connichi fährt.